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Klaus Möller




SCHARFES ZEUG

Daß es steche und fresse, Inbegriff der Pein, wenn es in eine Wunde kommt...

Daß es das Bittere besänftige und erträglich, genießbar und bekömmlich mache und der Suppe erst den Geschmack gebe...

Daß es sich chemisch aus einem Säurerest sowie einem Metall oder lon zusammensetze...

Daß sein Fehlen bedeute, etwas sei fad, saft- und kraftlos, ohne Geist und Witz...

WAHRES ZEUGNIS

Daß es - wie das Brot zum Einfachsten und Äußersten zähle, dessen der Mensch bedarf...

Daß diejenigen, die sich frank und frei in Geist und Sinn auf die Welt einlassen, das 'Salz der Erde' seien...

Daß es einen Bund, ein Versprechen besiegle, ein Zeichen sei für Bestand und Dauer einer Freundschaft - Bluts-Verwandt-lung...

Daß es im Bewahren des Toten vor Zersetzung das Prinzip des Lebendigen in sich trage...

ERSATZ-BLÜTE

Der Anschein, aus Salz sei kein Wachsen und Gedeihen möglich, Salz sei das Gegenteil von Blüte- trügt:

In seiner ältesten Nutzung als Lake, worin Leichname konserviert wurden - 'natron' - 'Geburts-Wasser’aus dem ‘Mutterschoß’ des Meeres - gilt es als Ersatz für das mütterlich-erneuernde Blut: Ersatz-Blüte.

Blut und Salz sind in ihrer Bedeutungsgeschichte immer wieder ein Begriffspaar, wenn es um die Besiegelung von Treue, Zusammengehörigkeit, Dauer, Unverbrüchlichkeit geht,

Das Christentum bemächtigte sich des römisch-heidnischen Brauchs, Opfer mit Salz zu segnen: 'immolare' - 'opfern' - leitet sich ab von 'mola':

Ein Salz-und-Mehl-Gemisch, zubereitet von den vestalischen Jungfrauen; es stand für Fleisch und Blut und wurde über jedes Opfer gestreut.


TREIBENDE KRAFT

‘MÄLACH' - 'Salz' - hat im Hebräischen denselben Konsonantenstamm, aus dem sich die Bedeutung für 'König' ableitet; sein Zahlenwert im Sinne der Kabbala entspricht dem dreifachen des Wortes 'JHWH', dem Gottesnamen; auch 'MALKUTH' - 'Königin' und 'Mutter Erde' in der Kabbala - kommt aus dieser sprachlichen Wurzel. Frau Lot ist in diesem Verstehenszusammenhang eine Erscheinung der 'Dreifachen Göttin'.

Sobald wir einem zyklischen Sinn im Ablauf von Vergehen und Werden Raum geben, sobald wir begreifen, daß unser Wesen Wandlung ist und daß dazu not-wendig das Durchwandern/Durchwandeln der Polaritäten gehört, sobald wir also Leben im Kontext des Sterbens begreifen - öffnet sich auch die Bedeutung des Salzes in seiner dynamischen, forcierenden, Veränderung bewirkenden Eigenheit.


GNADENLOSE BLEIBE

Das 'Land aus Salz' im Text Avraham Ben Yitzhaks erweist sich in seiner extremen Unfruchtbarkeit als adäquate Polarität, um darin die Qualität der Blumen aufscheinen zu lassen: Erst im Aushalten und Begreifen dieser Spannung ist das Maß erfahrbar, das der Dichter setzt: 'Sehnsucht zu Anfang'.

Salz würzt und (ver-)schärft.

Salz bringt die Bitterkeit des Widerspruchs auf den Punkt und macht sie zugleich genießbar.

Salz bewahrt und erhält/erhellt.

Salz bringt die Vergänglichkeit des Organischen durch die Nachtfahrt hindurch in den Zustand der Erneuerung - ans Licht.

STÜCKFELD

Körperstücke - Salzstücke: Der Wandel vom organischen Ganzen in die Zerstückelung, Fragmentierung, weitergetrieben ins Material, das zugleich für die Aufhebung des Organischen steht - in seiner abtötenden wie in seiner bewahrenden Kraft...

Salzwandlung - Salzlegung:

Was gelegt ist und sich gelegt hat ist das Zu - Grunde - Gegangene; wenn es sich seinen Raum nimmt, sein Ausmaß, seine Extremität, wird daraus weites Feld, auswuchernd ins wüste, öde Land:

Stückfeld - Salzland.

Im Durchwandern der Raum-Ebene scheint das Zeitliche auf. Das Gewesene durchsetzt das Augenblicks-Erleben; der Moment des Schreitens bekommt es mit der zerbrochenen Gestalt des Dagewesenen zu tun; er geht darüber hinweg und kommt dabei zum Vorschein. Einer der zu sich kommt, weil er (sich) auf den Grund gegangen ist.


Klaus Möller